In meinem Netzwerk gibt es einen Kollegen, der steif und fest behauptet (übrigens auch öffentlich), dass es die Kirche (zumindest den deutschen Baptismus) in spätestens 100 Jahren nicht mehr geben wird. So langsam merke ich, dass ich seine Ansichten beginne zu teilen.
Gestern habe ich meine Predigt über Offenbarung 21,1-7 konzipiert. Das neue Jerusalem kommt herrschaftlich und in der Beschreibung einer Braut entsprechend auf die Erde hinunter – und Tränen usw. sollen dann nicht mehr sein. Ich versuche morgen den gedanklichen Spagat, in diesem Geschehen eine präsentische Eschatologie zu erkennen – soll heißen: Da, wo die Kirche auch heute schon Hoffnung für die Welt ist, weil sie kapiert hat, wozu sie von der Idee ihres Ideengebers her da ist, passiert genau dieses Geschehen, das die Offenbarung beschreibt, schon jetzt, im 21. Jahrhundert. Kirche 21 eben.
ABER: Mein eigenes Erleben ist leider weit davon entfernt, frustriert mich streckenweise, lässt mir noch so manche Träne ins Auge fließen (letzteres nicht ganz so oft, aber das ist eine andere Geschichte).
Wir lesen Bücher von Rob Bell, John Ortberg und Co. Wir fahren auf Konferenzen, wo diese geistreichen Redner unserer Zeit Vorträge halten und uns für Gemeindearbeit motivieren und ermutigen. – Und zuhause? Da erleben wir dann, dass die Leute sich am liebsten treffen wollen, um gemütlich Kaffee zu trinken. Sie wollen eingeladen sein. Sie wollen natürlich auch Gemeinde bauen – klar, was soll man bei Suggestivfragen in diese Richtung auch anderes antworten. Aber die Konsequenzen bleiben aus. Und dann findet man sich als begeisterter „Kirchenbauer“ plötzlich inmitten von Ruinen. So ähnlich muss sich Tom Builder in „Die Säulen der Erde“ vorgekommen sein, als er das erste Mal nach Kingsbridge kam… Da tut sich eine Baustelle auf, und es ist gerade kein anderer zu finden als der Pastor; dort formiert sich ein neues Problem, und wer soll es angehen, wenn nicht derjenige, der für so etwas bezahlt wird; drüben ist noch eine Gruppe zu leiten; in jenem Netzwerk sich zu vernetzen ist wichtig und gesellschaftsrelevant – zumindest für den Pastor. Und vor lauter „lass mi au no mit“ (wie der Schwabe sagen würde) merken wir gar nicht, dass wir komplett am Ziel vorbei arbeiten.
Mein Eindruck: Das, was ich bei Leuten wie Rob Bell lese, ist zutiefst wahr. Jesus will tatsächlich die Christen retten. Aus ihrem lethargischen Phlegmatismus, aus ihrer überhöhten und unausgesprochenen Erwartungshaltung anderen gegenüber, aus ihrer Konsumhaltung, aus so vielem…
Wo geht die Kirche 21 hin? Hat mein Kollege aus meinem Netzwerk womöglich Recht? Ich hoffe nach wie vor, dass es nicht soweit kommen muss. Es dauert aber sicherlich noch eine ganze Weile, bis das neue Jerusalem wie eine Braut zu uns auf die Erde kommt. Tom Builder hat es trotz aller möglichen Unwägbarkeiten geschafft, aus einer ruinierten Kirche eine Kathedrale zu bauen. Ich nehme mir ihn zum Vorbild…
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